„Nachhaltiges Wirtschaften muss zur neuen Norm für alle werden“

Interview mit dem Transformationsforscher Hans Holzinger über die notwendige Wirtschaftswende und die Rolle von Unternehmer:innen als Pioniere des Wandels

 

Wo zeigt sich für dich, dass wir vor einer „Wirtschaftswende“ stehen?

Dass sich unser Wirtschaften ändern muss, wenn wir die ökologischen Krisen abwenden und die Kluft zwischen Arm und Reich reduzieren wollen, ist mittlerweile anerkannt. Umstritten sind die Wege dorthin: Ist ein grüner Kapitalismus mit weiterem Wirtschaftswachstum denkbar, in dem nur ökologischer produziert wird? Oder ist eine Rücknahme des Wachstums und des Konsums unabdingbar, weil neue Technologien allein nicht reichen werden? Und wie würden dann die Wohlfahrtssysteme aussehen?

„Was soll man als Einzelne schon ändern?“, denkt man sich oft. Warum sind Pionier:innen des Wandels so wichtig?

Ich bin Realist. Änderungen sind nur im Kapitalismus möglich, denn wir haben gar nicht die Zeit, ein neues System zu schaffen. Es geht um das Drehen an vielen Schrauben – größeren und kleineren. Das reicht von strengen Lieferkettengesetzen über bessere Ressourcen- und Vermögenssteuern bis hin zu erweiterten Unternehmensbilanzen. Vorreiter:innen wie Gemeinwohl- oder Postwachstumsunternehmen machen vor, dass und wie ein nachhaltiges Wirtschaften möglich ist. Wichtig ist aber, dass daraus verbindliche neue von der Politik zu setzende Regeln werden, um gleiche Marktbedingungen für alle zu schaffen.

Die Mehrheit sträubt sich gegen Veränderung, weil sie mit Verzicht verbunden wird. Richtig?

Die Beharrungskräfte sind komplex. Unternehmen wollen und müssen Gewinne machen, Staaten brauchen Steuereinnahmen, Bürger:innen sind nicht gewillt, Konsumeinschränkungen hinzunehmen. Für einen Umbau der Wirtschaft brauchen wir daher mehrschichtige Antworten. Unternehmen aus der Wachstumsabhängigkeit zu befreien, erfordert etwa die Renditefixierung zu beschränken und neue Kundenbindungen aufzubauen. Die öffentlichen Haushalte müssen auf neue finanzielle Beine gestellt werden – eine stärkere Heranziehung der Vermögenden ist unabdingbar. Bürger:innen brauchen attraktive neue Wohlstandsbilder – etwa das Versprechen einer guten Grundversorgung für alle. Aber es wird auch um die Vermittlung neuer Grenzen gehen, denn wir nehmen uns derzeit bedeutend mehr vom Ressourcenkuchen als uns zusteht.

Du hast dir viele neue ökonomische Konzepte und Initiativen angesehen. Was war für dich besonders überraschend?

Die wichtigste Erkenntnis war, dass das Zusammenwirken vieler unterschiedlicher Maßnahmen und Akteursgruppen die Transformation bewirkt. Das Ergebnis ist sozusagen mehr als die Summe der Einzelteile. Wir brauchen aber Reformen und neue ökonomische Erzählungen, denn letztere erlauben ein anderes Framing. Green Growth-Konzepte setzen auf technologische Lösungen und die Umlenkung der Finanzströme auf nachhaltige Technologien und Produktionsstrukturen. Degrowth-Konzepte gehen davon aus, dass neue Technologien allein nicht reichen werden. Da auch die neuen Technologien Ressourcen verbrauchen, müssten zusätzlich verbrauchsärmere Konsumstile umgesetzt und Strategien entwickelt werden, wie Unternehmen und Staaten auch ohne Wachstum gut gedeihen können. Vertreter:innen postkapitalistischer Entwürfe gehen davon aus, dass die Zuspitzung der ökologischen Krisen eine Vergesellschaftung der Produktion erfordern werde. In den Mainstreamdebatten überwiegt der Ansatz eines grünen Kapitalismus – er ist anschlussfähig für Unternehmen und Politik. Es ist jedenfalls in unser aller Interesse, einen geplanten Umbau der Wirtschaften innerhalb der planetaren Grenzen anzugehen. – an Postwachstum für die reichen Volkswirtschaften führt dabei aus meiner Sicht kein Weg vorbei. Ebenso an einer stärker an den Grundbedürfnissen orientierten Wirtschaft.

Wie können Unternehmen und Selbstständige zu wirtschaftlichen „Change Agents“ werden?

Sich auf sinnvolle Produkte und Dienstleistungen spezialisieren, mit neuen Geschäftsmodellen des Verkaufens von Nutzen statt Gütern experimentieren, mit guter Kundenbindung, einer konstruktiven Unternehmenskultur und stabilen Finanzplanung ohne permanentes Wachsen-Müssen gut bestehen können – all das zeigt vor, wie gemeinwohlorientiertes Unternehmertum möglich ist. Zugleich ist es wichtig, sich gerade als Unternehmer:in politisch für nachhaltige Strukturen einzusetzen, denn nachhaltiges Wirtschaften muss zur neuen Norm für alle werden.

Hans Holzinger ist Wirtschafts- und Sozialgeograph. Er war 30 Jahre lang als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen in Salzburg tätig und arbeitet heute als freier Publizist und Speaker. Sein aktuelles Buch: Wirtschaftswende. Transformationsansätze und neue ökonomische Konzepte im Vergleich. oekom 2024.