Konsumierst Du noch oder reparierst Du schon?

Grätzl-Werk-Stadt No. 63

von Maria Schönswetter

Von der Fliese zum Festival – Tina Zickler kuratiert das re:pair FESTIVAL seit 2022 und macht damit viele Aspekte des Handwerks und der Reparatur sichtbar, greifbar und erlebbar. Ihr Bestreben, bereits den Jüngsten unter uns den Zugang zum Reparieren schmackhaft zu machen, gelingt, denn das umfassende Festival Programm spricht für sich! Die Organisation eines so vielfältigen Events braucht viel Know-how, motivierte und engagierte Projektpartner:innen, Sponsoring Partner:innen, finanzielle Absicherung, große Veranstaltungsräume und – natürlich auch – ein interessiertes Publikum.

Maria Schönswetter / Tina Zickler

Maria Schönswetter hat sich für die Grüne Wirtschaft mit Tina Zickler auf ein feines Gespräch getroffen und über den Erfolg, die ersten Ideen und die Herausforderungen, die so ein Festival mit sich bringt, gesprochen.

Du arbeitest als freie Kuratorin und hast dich in den letzten Jahren viel mit wichtigen gesellschaftlichen Themen auseinandergesetzt und den öffentlichen Raum damit bespielt. Erzähle uns von deinem Werdegang. Was hat dich inspiriert und was ist davon bis heute geblieben?

Tina Zickler: In Berlin studierte ich an der Universität der Künste Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation. Meine Diplomarbeit schrieb ich über Museumsmarketing und -kommunikation und arbeitete danach lange Zeit im Kulturbereich – in den verschiedensten Positionen. Ich habe für ein Kindermusik-Theater-Festival gearbeitet und die Pressearbeit für das Art Forum und für die Berlin Biennale verantwortet. Für den British Council und Artnet war ich ebenso tätig. In der langen Zeit, in der ich im Kulturbusiness tätig war, konnte ich vielfältige Erfahrungen sammeln, die heute der Humus für meine herausfordernden Projekte sind.

Du hast erzählt, dass du von Süddeutschland über Berlin nach Wien gekommen bist und hier mischt du schon einige Jahre erfolgreich die Kunst-, Kultur- und Handwerksbranche auf. Was waren deine ersten Berührungs- und Anknüpfungspunkte in der 2-Millionen-Einwohner:innen-Stadt an der Donau?

TZ: Ich lebe seit Herbst 2012 in Wien. Meine ersten „bauwerklichen/handwerklichen“ Berührungen mit der Stadt waren die Brüder Schwadron. Als ich damals eine Kunstausstellung am Franz-Josefs-Kai 3, der ehemaligen Bawag Contemporary, besuchte, entdeckte ich beim Hinausgehen Jugendstilfliesen an der Decke und erkundigte mich, was zuvor in diesem Gebäude war. Man sagte mir, dass hier früher der Firmensitz der Brüder Schwadron gewesen wäre. Ich kannte das Unternehmen natürlich nicht und begann, zu recherchieren. In der National-Bibliothek stieß ich auf einen Katalog, den die Firma zu ihren baukeramischen Arbeiten im Diana-Bad anlässlich der Eröffnung 1918 publizierte. Mein Interesse war geweckt und ich klapperte unzählige Wiener Zinshäuser ab, die zwischen 1900 und 1938 erbaut wurden. Es gelang mir, im Haus am Franz-Josefs-Kai 3 eine erste Ausstellung mit Fotos der Stiegenhäuser, die von den Brüder Schwadron gefliest worden waren, auf die Beine zu stellen. Die Ausstellung mit den tollen Fotos der Wiener Fotografin Lisa Rastl war ein großer Erfolg. Währenddessen erhielt ich unzählige weitere Hinweise, sodass ich eine zweite Ausstellung mit neuen Fundorten und keramischen Objekten im MAK realisieren konnte. Dieses umfangreiche und aufregende Projekt führte mich zum Thema „Handwerk“.

Was hat dich an diesen Gebäuden so fasziniert und beeindruckt?

TZ: Die Wiener Stiegenhäusern, die in besagten Zeitraum erbaut wurden, sind bezüglich der Qualität der verarbeiteten Materialien und des handwerklichen Könnens schlicht beindruckend. Die Arbeiten der Gewerke sind aufeinander abgestimmt, d.h. die Fliesen, Fenster, Handläufe, Luster, Türen etc. passen perfekt zusammen und sind für eine lange Lebensdauer konzipiert. Damals hat man selbstverständlich so gebaut, dass alles möglichst lange hält. Keiner wäre auf die Idee gekommen, ein Gebäude nach 30 Jahren wieder abzureisen – was ja völlig unökologisch und eine unsägliche Verschwendung von Ressourcen ist.

MS: Was beeindruckt dich am Handwerk so, dass du ein eigenes re:pair FESTIVAL ins Leben gerufen hast, um verschiedene Handwerkstechniken in den Fokus zu stellen?

@ Tina Zickler

TZ: 2016 / 2017 habe ich die große Ausstellung „handWERK – tradiertes Können in der digitalen Welt“ im MAK initiiert und kuratiert. Das Ganze hatte eine europäische Dimension, denn es wurden neben dem Werkraum Bregenzerwald auch Institutionen wie der „Crafts Council“ und „Les Compagnons die Devoir“ vorgestellt. Insgesamt waren Handwerker:innen aus 16 europäischen Ländern zu entdecken. Mir war es auch wichtig, eine Schau-Werkstatt einzurichten, um dem Publikum die jeweiligen Techniken und Arbeitsschritte der verschiedenen Gewerke näherzubringen. Während der gesamten Laufzeit, von Dezember 2016 bis April 2017, war die Live-Werkstatt durchgängig besetzt und man konnte verschiedenen Handwerker:innen über die Schulter schauen.

Leider ist vielen Menschen das Verständnis verloren gegangen, dass das Handwerk, die händische Produktion, viel Zeit erfordert. Was mich am Handwerk besonders fasziniert, ist das Faktum, dass man selbstverständlich alles reparieren kann, was handwerklich produziert wurde.

Das erste re:pair FESTIVAL fand 2022 im Volkskundemuseum Wien statt. Dieses Jahr wird es bereits zum dritten Mal über die Bühne gehen. Welcher Grundgedanke und was für Absichten stehen dahinter?

TZ: Für mich ist die Vermittlungsarbeit sehr wichtig, deshalb habe ich das erste Festival gleich für drei Wochen konzipiert. So konnten über 20 Schulklassen an „Visible Mending“-Workshops teilnehmen und die Ausstellung „Vor der Wegwerfgesellschaft“ besichtigen. Die Projekte, die ich mache, mache ich fürs Publikum – für Menschen. Partizipation ist ein wesentlicher Aspekt meiner Arbeit!

Reparieren ist ein Akt der Selbstermächtigung und der Kreativität. Reparieren macht Spaß, es spart Geld und Ressourcen und jeder von uns kann damit einen aktiven Beitrag gegen den Klimawandel leisten.
Die Ausstellung des ersten Festivals präsentierte Objekte der Sammlung des Volkskundemuseums und demonstrierte, dass früher Textilen, Bekleidung, Werkzeuge, Möbel, Geschirr – eigentlich alles – repariert wurde. Bis vor 100 Jahren wäre man nie auf die Idee gekommen, Dinge einfach wegzuschmeißen. Das Festival setzt genau hier an und funktioniert deshalb auch!

Was ist deine besondere Zutat?

TZ: Mir war es von Anfang wichtig, das Festival hip und cool zu positionieren. In ästhetischer Hinsicht habe ich mich von Kintsugi (Goldlack-Reparatur von Keramik) und der Wabi-Sabi Ästhetik aus Japan inspirieren lassen. Dieses ästhetische Konzept favorisiert das Alte und das Gebrauchte, das als schön empfunden wird. Die sichtbare Reparatur steht im Vordergrund und das Zerbrochene und Reparierte rückt in den Fokus und bekommt eine neue Wertigkeit.

MS: Das diesjährige re:pair FESTIVAL findet im MQ statt und die Festivalzentrale ist im Raum D. Worauf können sich die Besucher:innen und Interessierte freuen?

@ Kollektiv Fischka

TZ: Beim kommenden Festival finden wieder viele kreative Workshops statt, es gibt Walks, Ambulanzen, Lectures und zwei Ausstellungen. Wir bespielen im MQ den Pop-up-Schauraum und den Schauraum der Angewandten. In letzterem wird das RE:PAIR LAB stattfinden, das wieder in Zusammenarbeit mit dem Institut für Konservierung und Restaurierung bespielt wird. Dieses Jahr zeigen die Student:innen live, wie man vergoldeten Holzrahmen Instand setzt und restauriert.

… kommt da noch mehr?

TZ: Ja! Z. B. die Ausstellung „Touch & Feel – Qualität in der der Mode“. Meiner Beobachtung nach kennen viele Kinder und Jugendliche kaum noch qualitativ-hochwertige Bekleidung. Die Unternehmen, die Fast-Fashion und Super-Fast-Fashion produzieren, pumpen fast ausschließlich Plastik-Mode auf den Markt. Deshalb kennen Kids und Jugendliche heute nur Polyester und Polyacryl und wissen nicht, wie sich natürliche Materialien anfühlen und welchen Tragekomfort diese Stoffe bieten. Stoffe, aber auch Zutaten wie Spitzen und Knöpfe aus Naturmaterialien, werden Produkten aus Plastik, d.h. Erdöl, gegenübergestellt. Die Besucher*innen dürfen und sollen alles anfassen, um ein Gefühl für die verschiedenen Materialien zu bekommen. Ich zeige auch ein Nachthemd, das aus Leinen und 120 Jahre alt ist. Dem wird ein Leinenhemd gegenübergestellt, das aktuell produziert wurde. Der Qualitätsunterschied ist gigantisch!

Eine weitere Ausstellung am Festival befasst sich mit Polstermöbel. Was erwartet uns da und wie sieht ein Polstermöbel von Innen überhaupt aus?

TZ: „Außen Hui und Innen pfui“, so heißt die zweite Ausstellung und diese widmet sich der Herstellung von Polstermöbeln. Seit meiner Handwerksausstellung kenne ich Ida Divinzenz. Sie ist Tapeziermeisterin, hat ihr Atelier im 5. Wiener Gemeindebezirk und kuratiert diese Ausstellung. Wir zeigen hier drei Sessel aus verschiedenen Epochen. Bei allen wird es möglich sein, in die „Innereien“ zu schauen, d.h. zu sehen, welche Materialien wie verarbeitet wurden. Früher war es selbstverständlich, Sessel so zu produzieren, dass man sie immer wieder neu Polstern konnte. Heute werden selbst bei teureren Sesseln oft Schaumstoffe einfach miteinander verklebt.

Ein Projekt dieser Größenordnung, mit vielen Aspekten der Vermittlungsarbeit braucht auch einiges an Wissen, Können, finanzielle Mittel, Kooperationen, geeignete Räume, gute Vernetzung, eine funktionierende Medienarbeit, Interessierte und vieles mehr. Wie ist es möglich, das Projekt finanziell erfolgreich auf die Beine zu stellen und wie groß ist dein eigener Aufwand? 

TZ: Wenn man das als Einzelkämpferin macht, so wie ich, dann geht man ein hohes finanzielles Risiko ein. Ich arbeite das ganze Jahr an der Konzeption, Planung, Finanzierung und Organisation des Festivals. Das Festival selbst findet im Oktober statt, aber im August fange ich bereits an, die Sponsoren für das kommende Jahr zu kontaktieren. Das ist notwendig, weil die Firmen ihre Sponsoring-Budgets bereits vor Jahresende verteilen. Viele Dinge überlappen sich ständig und im September finden viele Schritte gleichzeitig statt, die zu organisieren und zu erledigen sind. Während des Festivals bin ich drei Wochen rund um die Uhr im Einsatz bin. Anschließend ist die Abrechnung durchzuführen und zwar für alle Fördergeber:innen einzeln. Zeitgleich findet schon die Konzeption des nächsten Festivals statt, denn Ende Feber muss der erste Förderantrag abgegeben werden – dafür muss das neue Budget komplett stehen. Es gibt also kaum Zeiten, in denen ich total abschalten kann.

MS: Was würdest du dir von der Politik erhoffen / wünschen, damit zukünftige Events dieser Art auf mehr Schultern verteilt werden können?

TZ: Das re:pair FESTIVAL ist in seiner Dichte und Vielfalt einmalig in Europa. Es gibt auf der ganzen Welt unzählige kleine Repair-Cafés, die sehr wichtig sind, aber die Kultur der Reparatur in dieser Form zu feiern und ins öffentliche Bewusstsein zu rücken, das gibt es sonst nirgends! Ein Festival von knapp drei Wochen mit 120 Veranstaltungen, die für alle kostenlos zugänglich sind, das ist bis dato unique!

Wichtig wäre es, dass die Politik – das städtische Umwelt-Ressort – das Festival großzügiger unterstützt und mit notwendigen Ressourcen ausstattet.

MS: Bei so viel Arbeit und Organisation, als Einzelkämpferin, wie viel bleibt dann noch für dich übrig?

TZ: Ich bin immer noch Kleinstunternehmerin – das spricht Bände. Ich akquiriere aktiv Sponsoringpartner:innen und stelle sehr viele Förderanträge, um alle fair bezahlen zu können. De facto beute ich nur mich selbst aus. Es ärgert mich schon, dass gewisse Veranstaltungen, die die Stadt beauftragt, mit üppigen Budgets ausgestattet werden und am Ende dann doch nur die „Kunstblase“ vorbeischaut. Mein Festival hingegen wird von unterschiedlichsten Personengruppen besucht. Hier begegnen sich alle und flicken gemeinsam. Somit leiste ich einen wichtigen Beitrag zur Reparatur der Gesellschaft – das müsste viel großzügiger gefördert werden.

Wie ist es möglich, dich und dein großartiges Projekt zu unterstützen?

TZ: Frau/Mann kann das re:pair FESTIVAL 2025 auf diverse Art unterstützen. Selbstverständlich biete ich tolle Sponsoring-Packages, die individuell angepasst werden können. Ich freue mich über jede Anfrage, über jede Form von Support.

 

Das Interview führte Maria Schönswetter.

 

re:pair FESTIVAL Wien

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10. –  27. Oktober 2024, Wien

Kontakt:

labprojects kulturverein
Diplom-Kommunikationswirtin
Tina Zickler
info@projekt-schwadron.at
+43 677 634 566 80

 

Titelbild Fotocredit: kollektiv fischka